Die Demenz (lat. dementia: „ohne Geist“) ist auf Erkrankungen des Gehirns zurückzuführen. Sie äußert sich durch einen stetig zunehmenden Zerfall intellektueller Fähigkeiten wie Gedächtnis, Lernfähigkeit, Orientierung und Sprache. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache für Demenz und betrifft hauptsächlich ältere Menschen. Neben den für 2010 weltweit geschätzten 35 Millionen Patienten werden auch deren Pfleger, Familien und Freunde sowie die Gesundheitssysteme beeinträchtigt.
Als Auslöser der Alzheimer-Demenz werden kurze Eiweißmoleküle angesehen, sogenannte A-beta-Peptide, die im Gehirn von verschiedenen Zellen produziert werden können. Auf bisher unbekannte Weise schädigen die A-beta-Peptide die Nervenzellen, vermutlich wegen ihrer starken Tendenz, sich zusammenzulagern: Nach massiver Anhäufung und Verkettung zu langen A-beta-Fibrillen verklumpen diese schließlich zu sogenannten Plaques. Letztere sind dann außerhalb der Zellen im Gehirn von Alzheimer-Patienten erkennbar. Findet diese Anhäufung, Verkettung und Verklumpung nur außerhalb der Nervenzellen und der sie umgebenden Gewebezellen statt? Sind die Zellen im Gehirn überhaupt direkt daran beteiligt?
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden am Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena Zellen in Kulturschalen mit biotechnologisch hergestelltem A-beta-Peptid zusammengebracht. „Bereits im Lichtmikroskop konnten wir gut erkennen, dass typische Alzheimer-Plaques nur entstehen, wenn lebende Zellen anwesend sind“, so Dr. Marcus Fändrich, Leiter und Initiator der Studie am FLI. Somit konnte erstmals die direkte Beteiligung lebender Zellen am Auftreten der Plaques bestätigt werden. Doch nicht nur das. „Kurze A-beta-Peptide werden zunächst in die lebenden Zellen aufgenommen, vermutlich durch membran-abhängige Prozesse wie Endozytose oder Phagozytose“, erklärt Dr. Ralf Friedrich, Postdoktorand am FLI und einer der beiden Erstautoren der jüngst veröffentlichten Studie. In membran-umschlossenen Reaktionsräumen im Inneren der Zellen, sogenannten Vesikeln, wird das A-beta-Peptid offensichtlich angehäuft und beginnt, sich zu langen Fibrillen zusammenzulagern.
Im Elektronenmikroskop waren weitere Überraschungen erkennbar: Lange A-beta-Fibrillen können die Membran der Vesikel durchstoßen und in das Zytoplasma der Zellen eindringen. Der Verdacht liegt also nahe, dass mit zunehmender Verlängerung und Verklumpung der A-beta-Fibrillen die Membranen der Vesikel und möglicherweise auch andere Zellstrukturen zerstört werden. „Ob dies aber unmittelbar zum Absterben der Zellen führt, ist derzeit noch unklar“, so der Forschungsgruppenleiter Dr. Christoph Kaether. Allerdings werden erst nach dem Absterben der Zellen die A-beta-Fibrillen als Plaques außen abgelagert, fanden die beteiligten Wissenschaftler.
Die Ergebnisse der Studie wurden in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg und dem Elektronenmikroskopischen Zentrum der Friedrich-Schiller-Universität Jena erzielt. Sie stehen im Einklang mit vielen bisher unerklärbaren Befunden anderer Forschergruppen. „Unsere Daten führen somit zu einem plausiblen Modell, wie A-beta-Peptide in ihren verschiedenen Verkettungsstadien lebende Zellen und ihre Kompartimente durchlaufen, diese aufbrechen und somit am Tod der Zellen beteiligt sein können“, so Fändrich, der seine Forschung an der Max-Planck-Forschungsstelle in Halle (Saale) weiterführt. „An den kultivierten Zellen konnten wir somit neue Mechanismen der Plaqueentstehung bei der Alzheimer-Erkrankung erkennen“. Ob direkt in den Nervenzellen des Gehirns die gleichen Mechanismen ablaufen, ist die spannende Frage von Experimenten, die derzeit verfolgt werden.
Publikation
Friedrich RP, Tepper K, Rönicke R, Soom M, Westermann M, Reymann K, Kaether C, Fändrich M. Mechanism of amyloid plaque formation suggests an intracellular basis of Abeta pathogenicity. Proc Natl Acad Sci USA 2010, 107(5), 1942-7. doi: 10.1073/pnas.0904532106.