Fadenwürmer, Hefepilze und Fruchtfliegen gehören zu den wichtigsten Modellorganismen in der biologischen Altersforschung. Sie geben Aufschluss darüber, welche physiologischen Prozesse und molekularbiologischen Bedingungen Alterungsprozesse beschleunigen oder aufhalten. Diese Altersforschungsmodelle bekommen jetzt Konkurrenz durch einen schmucken Neuling in der Branche: den Prachtgrundkärpfling Nothobranchius furzeri. Dieser bei Aquarianern seit Jahrzehnten sehr beliebte afrikanische Fisch ist bekannt für seine kurze Lebensspanne. In drei Monaten durchläuft er den Kreislauf des Lebens von Geburt, Fortpflanzung und Tod. „Wir vermuten dahinter ein genetisches Programm, das den Lebenszyklus reguliert und damit Altersprozesse vorbestimmt“, so Dr. Alessandro Cellerino vom Leibniz-Institut für Altersforschung, Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena.
Dem Gruppenleiter ist es 2004 gelungen, in Mozambique eine langlebigere Variante dieses Tümpelfisches aufzuspüren und in Kultur zu nehmen. Die Fische dieser Variante altern nicht so schnell wie ihre kurzlebigen Verwandten aus dem Gona Re Zhou Nationalpark in Zimbabwe. Die Zucht dieser Fische unter Laborbedingungen ist anspruchsvoll. Doch der Aufwand lohnt sich. So zeigte sich beim Vergleich der entsprechenden Gewebe, dass bei der kurzlebigeren Variante die altersbedingten Degenerationsprozesse in Gehirn und Leber tatsächlich schneller verlaufen als beim länger lebenden Prachtgrundkärpfling. „Auch die Leistungsfähigkeit beim Schwimmen nimmt bei der kurzlebigen Art schneller ab“, zeigt der Wissenschaftler.
Die Beschreibung der phänotypischen Unterschiede war der erste Schritt, jetzt geht es darum, die genetische Steuerung dieser Alterungsprozesse zu verstehen. Welche molekular-genetischen Faktoren sind für die Unterschiede in der Lebensspanne verantwortlich? Gibt es Altersgene, die die maximale Lebensspanne dieser Organismen festlegen? Durch Kreuzungsexperimente zwischen der kurzlebigen und der langlebigeren Variante sollen Genbereiche kartiert werden, die für diese Unterschiede verantwortlich sind.
Im Zeitalter der Genomforschung werden zukünftige Arbeiten nicht ohne detaillierte Kenntnis des Fisch-Genoms auskommen. Die FLI-Arbeitsgruppe um Dr. Matthias Platzer hat durch Sequenzanalysen in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Manfred Schartl von der Universität Würzburg nun den Grundstein zur genomischen Charakterisierung des Prachtgrundkärpflings gelegt. Dabei fiel auf, dass dessen Genom im Vergleich zu den anderen in der Forschung gebräuchlichen Modellfischen (z.B. Stichling und Zebrafisch) vergleichsweise groß ist und ungefähr 2/3 der Genomgröße des Menschen ausmacht. Wie beim Menschen findet sich auch beim Prachtgrundkärpfling ein hoher Anteil an Genabschnitten, die sich häufig wiederholen. „Diese repetitiven Sequenzen häufen sich vor allem in den Abschnitten der Chromosomen, die bei der Zellteilung wichtig sind, den Centromeren“, erklärt Dr. Kathrin Reichwald, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gruppe Platzer. Die Ähnlichkeit zum menschlichen Genom ist besonders erfreulich, da das Fischmodell, als kurzlebigstes Wirbeltier, hoffentlich Aufschlüsse geben wird, die auch auf den Menschen übertragen werden könnten. Die repetitiven Sequenzen sind allerdings gleich zwischen der langlebigeren und der kurzlebigeren Variante der Fischspezies. „Wir sind aber sehr gespannt auf die weiteren Ergebnisse der laufenden Kreuzungsexperimente, die uns hoffentlich einen großen Schritt weiterbringen werden“, so Platzer.
Ein vielversprechendes Feld in der Altersforschung zur Erklärung der Begrenztheit der Lebensspanne ist die Telomerforschung. Telomere bestehen aus repetitiven DNA-Sequenzen an den Enden von Chromosomen und verkürzen sich von Zellteilung zu Zellteilung. Haben die Telomere eine bestimmte Kürze erreicht, hören die Zellen auf, sich zu teilen. FLI-Forscher aus der Gruppe von Prof. Dr. Christoph Englert haben nun untersucht, ob die Telomerverkürzung bei den beiden Nothobranchius-Varianten eine Rolle spielt. Sie haben die Telomerlängen im Muskel- und Hautgewebe alter und junger Fische beider Varianten miteinander verglichen. „Erstaunlicherweise zeigte sich im älteren Gewebe der längerlebigen Variante ein Telomerverkürzungseffekt, in der kurzlebigen Variante aber nicht!“, wunderten sich die Wissenschaftler. „Die Verkürzung der Telomere ist hier also nicht Ursache der beschleunigten Alterung“, schlussfolgert der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Nils Hartmann. „Wir spekulieren, dass die Telomere in der kurzlebigen Variante in ihrer Länge zwar erhalten bleiben, aber an Funktionalität verlieren“, so Englert. In weiterführenden Arbeiten wird dies derzeit untersucht.
Ein anderer für die Altersforscher nicht weniger erstaunlicher Befund ist die Tatsache, dass sich eine Beschränkung der Kalorienzufuhr auf die beiden Fischlinien unterschiedlich auswirkt. Aus Experimenten mit Hefepilzen, Fadenwürmern und der Fruchtfliege weiß man, dass sich eine nährstoffreduzierte Diät lebensverlängernd auswirkt. „Beim kurzlebigen Prachtgrundkärpfling wirkt sich die Beschränkung der Nahrungszufuhr deutlich lebensverlängernd aus. Bei der langlebigeren Variante zeigt sich jedoch ein ambivalenter Effekt. Die Langlebigeren sterben unter der Diät zuerst vermehrt. Aber die, die überleben, leben dann auch umso länger“, beschreibt Alessandro Cellerino den gefundenen Effekt. „Wir haben nun herausgefunden, dass die durch die Diät ausgelöste Sterblichkeit bei den langlebigen Nothobranchien nicht altersbedingt ist, sondern durch Stressreaktionen im Gehirn hervorgerufen wird, erklärt Cellerino. Die überlebenden Hunger-Exemplare sind gegen Stress besser geschützt. `Hormesis´ nennen die Wissenschaftler diesen Abhärtungseffekt, der im Volksmund eine geläufige Entsprechung hat: „Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter“.
Die FLI-Wissenschaftler sind dabei, den Prachtgrundkärpfling als viel versprechendes Tiermodell in der biologischen Altersforschung zu etablieren. „Uns geht es um die Verbindung von Phänotyp, Molekularbiologie und Genomik“, sagt Christoph Englert. Mittlerweile gingen mehrere Veröffentlichungen aus diesem Projekt hervor. „Mit dem schmucken afrikanischen Tümpelfisch, also einem Wirbeltier, sind wir evolutionär sehr viel näher am Menschen als mit Hefepilzen, Fruchtfliegen und Fadenwürmern. Wir gehen davon aus, dass sich Forschungsergebnisse über Nothobranchius besser auf den Menschen übertragen lassen und der Altersforschung wesentliche Impulse geben werden“, sind sich die FLI-Gruppenleiter Cellerino, Platzer und Englert sicher.
Für die Forschungen am Fritz-Lipmann-Institut in Jena zur Etablierung des Prachtgrundkärpflings Nothobranchius furzeri als innovatives Modell für die Altersforschung waren 2006 von den Antragstellern Platzer und Englert Bundesmittel aus dem „Pakt für Forschung und Innovation“ in Höhe von 620.000 Euro eingeworben worden. Zudem hat die DFG auf Antrag von Cellerino Projektmittel in Höhe von 220.000 Euro zur Verfügung gestellt.
Publikationen
Terzibasi E, Valenzano DR, Benedetti M, Roncaglia P, Cattaneo A, Domenici L, Cellerino A. Large differences in aging phenotype between strains of the short-lived annual fish Nothobranchius furzeri. PLoS One. 2008, 3(12), e3866. doi: 10.1371/journal.pone.0003866.
Terzibasi E, Lefrançois C, Domenici P, Hartmann N, Graf M, Cellerino A. Effects of dietary restriction on mortality and age-related phenotypes in the short-lived fish Nothobranchius furzeri. Aging Cell. 2009, 8(2), 88-99. doi: 10.1111/j.1474-9726.2009.00455.x.
Hartmann N, Reichwald K, Lechel A, Graf M, Kirschner J, Dorn A, Terzibasi E, Wellner J, Platzer M, Rudolph KL, Cellerino A, Englert C. Telomeres shorten while Tert expression increases during ageing of the short-lived fish Nothobranchius furzeri. Mech Ageing Dev. 2009, 130(5), 290-6. doi: 10.1016/j.mad.2009.01.003.
Reichwald K, Lauber C, Nanda I, Kirschner J, Hartmann N, Schories S, Gausmann U, Taudien S, Schilhabel MB, Szafranski K, Glöckner G, Schmid M,Cellerino A, Schartl M, Englert C, Platzer M. High tandem repeat content in the genome of the short-lived annual fish Nothobranchius furzeri: a new vertebrate model for aging research. Genome Biol. 2009, 10(2), R16. doi: 10.1186/gb-2009-10-2-r16.