"Ziel der Studie war es, zu verstehen, ob verschiedene Proteine innerhalb des Proteoms bei verschiedenen Individuen gleichartig miteinander interagieren und, wenn nicht, welche Faktoren die Unterschiede verursachen", erklärt Erstautorin Natalie Romanov, Postdoc-Forscherin in der Gruppe von Peer Bork am EMBL Heidelberg. Die Untersuchung der einzelnen Proteome – der Proteotypen – lieferte ein überraschendes Ergebnis. Es zeigte sich, dass ein signifikanter Teil – etwa 12% - der Proteotypvariation sowohl vom Geschlecht des Tieres als auch von seiner Ernährung bestimmt ist; dies ist mehr als erwartet.
Bisher waren nur wenige Proteine bekannt, die durch das genetische Geschlecht oder die Ernährung eines Tieres hinauf- oder herunterreguliert werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede zum Beispiel, gehen in der Regel auf die X/Y-spezifische Genexpression der Geschlechtschromosomen zurück. Die neue Studie zeigte, dass davon viel mehr Proteine betroffen sind als bisher gedacht. Die Auswirkungen der Ernährung hingegen beschränkten sich auf einen kleineren, komplementären Satz von Proteinen.
"Es ist beeindruckend, dass diese beiden Faktoren allein schon einen großen Teil des Proteotyps eines Individuums ausmachen", sagt Romanov.
Proteotypgesteuerte personalisierte Medizin
Die Zukunft der medizinischen Versorgung liegt in der personalisierten Medizin, in der die Produkte auf den einzelnen Patienten zugeschnitten sind. Bisher konzentrierten sich die meisten Studien auf die Anpassung von Behandlungen an den Genotyp – also die genetische Zusammensetzung einer Person. Während einige seltene Krankheiten eindeutig genetisch determiniert sind, spielt bei den meisten Krankheiten die Umwelt eine große Rolle und das Genom des Patienten ist relativ unwichtig.
"Bei krankhaftem Übergewicht zum Beispiel lassen sich nur etwa 6% der Variation des Body-Mass-Index durch die damit verbundene Genetik erklären", sagt Peer Bork. "Der Proteotyp spiegelt nicht nur die Genetik wider, sondern auch Umweltaspekte, zum Beispiel den Lebensstil. Daher hat das Verständnis von Proteotypen großes Potenzial, wenn es darum geht, lebensstilbezogene Fingerabdrücke bei Individuen zu erstellen."
Diese Studie stellt einen wichtigen Meilenstein im Verständnis dar, welche zellulären Veränderungen bei einem kranken Menschen durch eine Änderung des Lebensstils potenziell rückgängig gemacht werden können. Dieses Wissen könnte nicht nur für die Krankheitsdiagnose, sondern auch für die zukünftige Individualisierung von Therapien nützlich sein.
Ein erster kleiner Schritt
Das Team erzielte seine Ergebnisse durch die Analyse von 11 großen öffentlichen Datensätzen, die detaillierte Informationen über verschiedene Proteotypen bei Mensch und Maus sowie deren Ernährung und genetischen Status enthalten. Erst mit den jüngsten Fortschritten im Bereich der Massenspektroskopie wurden so große Datenbanken über einzelne Proteotypen ermöglicht. Trotz technologischer Fortschritte ist die Erstellung dieser Datenbanken jedoch immer noch teuer.
"Die Ergebnisse stellen nur einen ersten Schritt dar. Es kann davon ausgegangen werden, dass viele andere Parameter neben Geschlecht und Ernährung vollständig getestet werden müssen, um den Proteotyp eines Individuums von einem erkrankten in einen gesünderen Zustand umzugestalten", schließt Martin Beck, einer der Co-Autoren. "Um die meisten Unterschiede in den Proteotypen von Individuen zu verstehen, müssen viele weitere solcher Datensätze gesammelt werden. Wir müssen auch auf viel mehr Umwelt- und Genfaktoren testen, bevor entsprechende Diagnostik und individualisierte Therapien in die Kliniken gebracht werden können."
Quellartikel
Natalie Romanov, Michael Kuhn, Ruedi Aebersold, Alessandro Ori, Martin Beck, Peer Bork:
'Disentangling the impact of genetic and environmental factors on the proteotypes across individuals'.
Cell, published online 25 April 2019. DOI: dx.doi.org/10.1016/j.cell.2019.03.015
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