Die unerwünschten Nebeneffekte des Kortisons, eines Glukokortikoid-Hormons (GC) aus der Nebennierenrinde, hängen mit seiner organischen Grundfunktion zusammen: der Regulierung des zuckerbasierten Energiestoffwechsels. „Ohne diesen Glucose-Metabolismus wäre es weder Mensch noch Tier möglich, bei Gefahr ausreichend Energie zu mobilisieren“, erklärt Dr. Jan Peter Tuckermann vom Fritz-Lipmann-Institut für Altersforschung in Jena (FLI). Soll der Glucose-Pegel längere Zeit hoch bleiben, wird auf Reserven im Fettgewebe, im Knochen und in der Unterhaut zurückgegriffen. Wenn dieser Effekt dauerhaft durch die Verabreichung von Kortison-Präparaten ausgelöst wird, kommt es zu Osteoporose, Atrophie der Haut und Muskelschwäche.
Seit vielen Jahren kämpft die Kortison-Forschung gegen diese mitunter massiven Nebenwirkungen an, bisher mit eher mäßigem Erfolg. Zu ungenau waren bisher die Vorstellungen von der molekularen Wirkungsweise dieses Botenstoffes. Die Forschungsergebnisse des Altersforschungsinstituts der Leibniz-Gemeinschaft, die in Kooperation mit dem Labor von Prof. Dr. Günther Schütz aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg entstanden sind, könnten dies womöglich ändern.
„Es gibt zwei unterschiedliche molekulare Wirkmechanismen, die von der jeweiligen Form des Rezeptors abhängen“, veranschaulicht Dr. Tuckermann. Bisher glaubte man, dass einer davon der „good guy“ ist, der für die therapeutische Wirkung verantwortlich ist und dass der andere als „bad guy“ an den unerwünschten Nebenwirkungen schuld ist. Doch so einfach ist die Sache nicht. „Es hat sich vielmehr herausgestellt, dass auch unser `bad guy´ einen wesentlichen therapeutischen Beitrag leistet, von dem wir bisher nichts wussten!“, berichtet der Gruppenleiter vom FLI.
Damit das aktive Cortisol wirken kann, muss es mit einem speziellen Rezeptor – dem Glukokortikoid-Rezeptor (GR) – eine Bindung eingehen. Das Hormon dringt in die Zelle und hängt sich dort als Ligand an das Rezeptormolekül. Der GC-Rezeptor bahnt sich dann seinen Weg in den Zellkern, um dort genetisch aktiv zu werden. „Wie er das tut, hängt von seiner molekularen Zusammensetzung ab“, führen die Wissenschaftler aus Jena und Heidelberg aus. Organisiert er sich zu einem Doppelmolekül (Dimer), kann der Rezeptor als Genschalter (Transkriptionsfaktor) aktiv werden, sodass die Produktion von Boten-RNA (mRNA) ausgelöst wird, die wiederum die Synthese bestimmter Proteine steuert. Bislang ist bekannt, dass einige dieser Proteine den Zuckerstoffwechsel in der Leber beeinflussen und so Nebenwirkungen auslösen.
Liegt der Rezeptor allerdings als einfaches Molekül (Monomer) vor, entfaltet es eine ganz andere genetische Wirkung. Das Rezeptormolekül wird dann nicht selbst zum Genschalter, sondern es hemmt andere Transkriptionsfaktoren (wie AP-1, IRF-3 und NFκB) daran, die Boten-RNAs (mRNA) von Genen vermehrt zu synthetisieren, deren Produkte an Entzündungsreaktionen beteiligt sind. „Wir konnten in unseren einfachen Entzündungsmodellen zeigen, dass der GC-Rezeptor auf diese Weise entzündungshemmend wirkt“, so Dr. Tuckermann.
„Unsere Kontaktallergie-Experimente brachten ans Licht, dass der dimerisierte GC-Rezeptor – der vermeintliche `bad guy´- ebenfalls für die Entfaltung der vollen therapeutischen Wirkung von Kortison notwendig ist“, so der Wissenschaftler. Bei der verwendeten Mauslinie, die im Labor des Heidelberger Wissenschaftlers Prof. Dr. Günther Schütz entstand, ist die Funktion des Doppelmoleküls ausgeschaltet. Nach der alten Logik hätte man erwarten müssen, dass bei diesen Mäusen die entzündungshemmende Wirkung von Kortison bei der Behandlung einer Kontaktallergie nicht beeinträchtigt ist. „Doch erstaunlicherweise geht die Entzündung nicht so stark zurück, wie wenn das Doppelmolekül noch intakt ist“, erklären die Forscher aus Heidelberg und Jena, die im Journal of Clinical Investigation veröffentlichten Ergebnisse. Dieses Resultat ist für die pharmazeutische Forschung zu Kortison-Präparaten von großer Bedeutung.
Für die Entwicklung nebenwirkungsarmer Allergie-Medikamente ist auch ein weiterer Befund der Heidelberger und Jenaer Forscher wegweisend. „Wir haben zudem herausgefunden, dass Mäuse, denen ausschliesslich in den T-Lymphozyten und den Keratinocyten der GC-Rezeptor fehlt, genauso erfolgreich mit Kortison behandelt werden können, wie die Vergleichsgruppe“, so der 37-jährige Biologe. Fehlt den Mäusen der Rezeptor allerdings in den Makrophagen und den Granulozyten, ist die Kortison-Wirkung aufgehoben. Die Experimente haben somit gezeigt, dass bei Allergien die durch Makrophagen und Granulozyten vermittelte Immunabwehr für die Kortisonwirkung eine entscheidende Rolle spielt.
Welche molekularen und zellulären Wirkmechanismen von Kortison-Präparaten bei der Behandlung anderer entzündlicher Erkrankungen wie Asthma, rheumatoide Arthritis oder entzündliche Darmerkrankungen entscheidend sind, ist noch unklar. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf. „Wir hoffen aber, dass es mit Hilfe weiterer Grundlagenforschung langfristig Mittel und Wege geben wird, die Risiken der Kortison-Behandlung auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren“, so das Forscherteam. Für John F. Kennedy kommt diese Hilfe tragischerweise zu spät.
Publikation
Tuckermann JP, Kleiman A, Moriggl R, Spanbroek R, Neumann A, Illing A, Clausen BE, Stride B, Förster I, Habenicht AJ, Reichardt HM, Tronche F, Schmid W, Schütz G. Macrophages and neutrophils are the targets for immune suppression by glucocorticoids in contact allergy. J Clin Invest.2007, 117(5), 1381-90. doi:10.1172/JCI28034