Die Telomerase gilt als „Jungbrunnenenzym“ schnell wachsender, „proliferierender“ Zellen: Sind die Endstücke der Chromosomen („Telomere“) nach einer bestimmten Anzahl von Zellteilungen verkürzt, müsste es eigentlich zu einem Teilungsstopp kommen. Die Telomerase kann die Chromosomenenden jedoch wieder verlängern und so den Stopp überwinden. Diese Fähigkeit machen sich auch 90 Prozent der Tumore zunutze: Die Krebszellen aktivieren das Enzym und können sich so besonders oft teilen. Warum die Telomerase darüber hinaus im Zellkernkörperchen („Nukleolus“) vorkommt, war bisher nicht bekannt. Zur Erinnerung: Im Nukleolus werden so genannte Ribosomen hergestellt, die als „Proteinfabriken“ wichtig für das Zellwachstum sind. Nun konnte die Gruppe um Sebastian Iben erstmals anhand von Proben aus Lebertumoren zeigen, dass die Telomerase an Gene bindet, die im Zellkernkörperchen abgelesen werden. Das Enzym hat also Einfluss auf die Ribosomenproduktion.
„Allerdings lässt sich die beschriebene Bindung der Telomerase nur in schnell wachsenden Geweben und Tumoren nachweisen“, schränkt Omar Garcia Gonzalez ein, der als Doktorand maßgeblich an der Entdeckung beteiligt war. Ihrer Beobachtung sind die Wissenschaftler in Zellen und Zellextrakten nachgegangen, denen Telomerase zugegeben wurde. Tatsächlich lief die Ribosomenproduktion immer dann auf Hochtouren, wenn die Forscher zusätzlich Krebs-Gene (Onkogene) beifügten. „Wir glauben, dass die Telomerase durch Onkogene oder Wachstumssignale in ihrer Funktion verändert wird und dann das Wachstumsprogramm der Zelle stimuliert“, erklärt Sebastian Iben von der Ulmer Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie. Offenbar würden unter diesen Bedingungen vermehrt Enzymkomplexe gebildet, was zu einer verstärkten Bildung von ribosomalen Vorläuferprodukten führe. Die Folge: Mehr „Proteinfabriken“ und ein beschleunigtes Zellwachstum.
Doppelstrategie bei der Krebsbehandlung
Die Telomerase ist bei fast allen Krebsformen aktiv, deshalb richten sich mehrere bereits erhältliche Medikamente gegen das Enzym. Ob die eingesetzten Wirkstoffe auch Ribosomen beeinflussen, hat die Gruppe in einem zweiten Schritt untersucht. Mit eindeutigem Ergebnis: Tatsächlich reduzierte die Gabe eines bestimmten Krebsmittels die Neubildung von Ribosomen um die Hälfte. Wird die Telomerase und somit die Ribosomenbildung gehemmt, lässt sich das Zellwachstum von gleich zwei Seiten ausbremsen. Iben vergleicht diese Doppelstrategie mit einem Auto, das mit Hand- und Fußbremse gleichzeitig sicher zum Stehen gebracht wird: „Die Kombination zweier Wirkstoffe ist zuverlässiger und wohl auch nebenwirkungsärmer, da die Dosen der Einzelwirkstoffe geringer sind“, bekräftigen die Wissenschaftler.
In einem nächsten Schritt wird die Gruppe im Mausmodell untersuchen, ob und wie Tumore durch diese Doppelstrategie nicht nur am Wachstum gehindert, sondern zum Verschwinden gebracht werden können.
Die beteiligten Ulmer Wissenschaftler forschen an der Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie (Leitung: Prof. Karin Scharffetter-Kochanek), in der Forschungsgruppe für Bioinformatik und Systembiologie und an der Klinik für Innere Medizin I. Sie haben mit Kollegen um PD Dr. Cagatay Günes vom Leibniz-Institut für Alternsforschung Fritz-Lipmann-Institut (Jena) und vom „European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg kooperiert.
Ihre wissenschaftliche Arbeit ist unter anderem von der Erich und Gertrud Roggenbuck-Stiftung und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (KFO 142) unterstützt worden.
Publikation
Omar Garcia Gonzalez, Robin Assfalg, Sylvia Koch, Adrian Schelling, Jitendra K. Meena, Johann Kraus, Andre Lechel, Sarah-Fee Katz, Vladimir Benes, Karin Scharffetter-Kochanek, Hans A. Kestler, Cagatay Günes, and Sebastian Iben: Telomerase stimulates ribosomal DNA transcription under hyperproliferative conditions. Nature Communications. 2014, doi:10.1038/ncomms5599