Killer und Heiler zugleich
Ulmer Forscher decken therapieresistente Wirkung des Tumorsuppressor-Proteins p53 auf
Hochaggressive Tumore wie bestimmte Formen des Brust- oder Eierstockkrebses werden heute teils mit sogenannten PARP-Hemmern behandelt. Diese blockieren ein bestimmtes Enzym (Poly ADP Ribose Polymerase), das bei der Reparatur von DNA-Schäden eine Schlüsselrolle spielt. Wird dieser Reparaturmechanismus gestört, so kann sich die Krebszelle nicht weiter teilen oder stirbt sogar ab. Doch zeigte sich in den letzten Jahren, dass sich die Tumore dadurch nicht immer in Schach halten lassen und somit in manchen Fällen Therapieresistenzen auftreten. Forscher an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Ulm haben nun einen Mechanismus entdeckt, der erklären könnte, warum sich bestimmte Krebszellen trotz PARP-Hemmer weiter ungehindert vermehren.
Die Wissenschaftler aus dem Team von Professorin Lisa Wiesmüller, Leiterin der Sektion für Gynäkologische Onkologie am Universitätsklinikum Ulm, haben herausgefunden, dass ein bisher unbekannter Schadenstoleranzmechanismus der DNA dafür sorgt, sogenannte Replikationsbarrieren – wie sie beispielsweise durch die pharmakologische Hemmung des Replikationsenzyms PARP entstehen – zu überwinden. Zur Erinnerung: Damit sich Zellen teilen und vermehren können, muss deren Erbinformation vervielfältigt werden. Replikation heißt dieser genetische Verdopplungsprozess, bei dem der Doppelstrang der DNA aufgetrennt wird und komplementär zu den Einzelsträngen neue DNA-Stränge gebildet werden. Sobald dabei Schadstellen im genetischen Code entdeckt werden, stoppt der Prozess.
Die Forscherinnen und Forscher deckten nun auf, dass die beschädigte Stelle an der DNA mit Hilfe einer Kopie überbrückt wird, bei der das Schwesterchromatid als Matrize dient. So entsteht eine Art Bypass. Diese `Umfahrung´ ist fehlerfrei und sorgt schließlich dafür, dass die Replikation der DNA fortgesetzt wird und sich schnellteilende Zellen wie Krebszellen weiter vermehren können. „Erstaunlicherweise ist daran ein Protein beteiligt, das bisher für seine krebshemmende Wirkung bekannt war, nämlich das sogenannte p53“, erklärt Stephanie Hampp, Erstautorin der im renommierten Fachmagazin PNAS veröffentlichten Studie.
Bisher ging man davon aus, dass p53 weitgehend als Tumorsuppressor wirkt und bei DNA-Schäden die Zellteilung stoppt oder sogar den Zellselbstmord (Apoptose) einleitet. Daher der Ruf des Proteins als „Wächter des Genoms“. Das „Wächter“-Protein wirkt aber nicht ausschließlich als „Killer“. Geht p53 über einen Proteinkomplex eine Verbindung mit der DNA-Reparatur-Polymerase iota (POLiota) ein, wirkt das „Wächter“-Protein wachstumsfördernd. „Man könnte sogar sagen, dass das Protein hier auf eine Art fatale `Heiler´-Wirkung entfaltet, indem es bestimmten hochaggressiven Krebszellen dabei hilft, sich zu teilen und zu vermehren“, so Professorin Lisa Wiesmüller. Ursprünglich war dieser Mechanismus vermutlich für Stammzellen vorgesehen, wird jedoch von Krebszellen ausgenutzt. Denn sowohl bei den sich schnell teilenden Stamm- wie auch Krebszellen stimuliert p53 den Bypass-Mechanismus an Replikationsbarrieren, wodurch die DNA-Synthese erleichtert wird, eine Grundvoraussetzung für schnelles Zellwachstum.
Das Ulmer Forscherteam fand nun heraus, dass – vermittelt über den Proteinkomplex aus p53 und der speziellen Polymerase POLiota – an natürlichen oder durch PARP-Hemmer verursachten Replikationsbarrieren eine Art Leerlaufprozess ausgelöst wird. Dort wo sich der Doppelstrang für den Replikationsprozess aufgabelt, verlangsamt sich die Neubildung des komplementären DNA-Stranges. „Das Erbgutvervielfältigungsprogramm gewinnt dadurch Zeit, bis die Blockade an der Replikationsgabel mit Hilfe spezialisierter strukturspezifischer Enzyme aufgelöst werden kann“, erläutert die Onkologin. Hierbei wird die schadhafte Stelle überbrückt und die DNA wird trotz geschädigter Bausteine sauber, also ohne Fehler, redupliziert. „Dieser neu gefundene Schadenstoleranzmechanismus sorgt also dafür, dass sich auch solche Zellen weiter vermehren können, deren Replikationsmaschinerie erst Mal gestoppt wurde und die eigentlich durch den Zusammenbruch dieser Maschinerie `kaltgestellt´ werden würden“, erläutert Doktorandin Hampp.
Im genetischen Reproduktionsbetrieb gibt es sozusagen einen Widerstreit zwischen strengen „Ordnungshütern“, die die Vermehrung geschädigter Zellen verhindern und Toleranzmechanismen, die dafür sorgen, dass nicht jeder DNA-Schaden die Zellproliferation lahmlegt. „Von dieser Schadenstoleranz sollten natürlich nicht die Krebszellen profitieren“, meint Wiesmüller. Die Mediziner hoffen deshalb, dass sich die krebsfördernde Wirkung von p53 langfristig pharmakologisch kontrollieren lässt, sodass noch mehr Krebspatientinnen von der relativ nebenwirkungsarmen PARP-Therapie profitieren können.
Gefördert wurde das Projekt, an dem auch Forscher aus Argentinien sowie Wissenschaftler der Universitäten Duisburg-Essen und des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) Jena teilnahmen, vor allem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
p53: Killer und Heiler zugleich - Bypass-Mechanismus hilft Krebszellen bei der Vermehrung (Uni Ulm)
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