Zurück auf Anfang: Reaktivierung von embryonalen Genen verursacht Stammzell-Alterung im Muskel

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Die Entwicklung des Embryos wird von entwicklungsbiologischen Genen und Signalwegen gesteuert. Die Familie der Hox-Gene übernimmt hierbei eine Schlüsselrolle. Forscher vom FLI in Jena zeigen erstmals, dass im hohen Alter eines dieser Gene, das Hoxa9, reaktiviert wird und dies die Funktion von Muskelstammzellen einschränkt. Die Regenerationsfähigkeit des Skelettmuskels nimmt deswegen im Alter deutlich ab. Paradoxerweise führen also die gleichen Gene, die den Beginn des Lebens kontrollieren, zum Verlust der Stammzellfunktion und Regeneration im Alter. Die Aktivierung von Hoxa9 ist jedoch epigenetisch steuerbar – ein neuer Ansatzpunkt für Therapien in der Regenerationsmedizin. Die Ergebnisse erscheinen am 30. November im Fachjournal Nature.

Die Entwicklung eines Menschen im Mutterleib ist der komplexeste Prozess, den das Leben hervorbringen kann. Nie sind unsere Erbinformationen (DNA) mehr gefordert, nie müssen Gene, Signalwege und Entwicklungsprozesse besser funktionieren und zusammenarbeiten als während dieser Zeit. Die sogenannten Hox-Gene spielen dabei eine entscheidende Rolle. Nach der Geburt sind sie kaum noch aktiv, bleiben aber in Stammzellen zeitlebens nachweisbar. Forscher des Jenaer Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) zeigen nun im Mausmodell, dass im hohen Alter ein Gen der Hox-Familie, das Hoxa9-Gen, in Muskelstammzellen nach einer Verletzung wieder stark aktiviert wird und dass dies die Regenerationsfähigkeit der Muskeln beschränkt. Und noch etwas ist neu: Die fehlerhafte Aktivierung des Gens kann gezielt mit chemischen Wirkstoffen verhindert werden, woraus sich ein neuer Ansatzpunkt für die medikamentöse Unterstützung der Muskelregeneration im Alter ergeben könnte. Die Studie erscheint am 30. November im renommierten Fachjournal Nature.

Aktivierung embryonaler Gene – ein neues Verständnis der Ursachen des Alterns

„Eigentlich sind die embryonalen Signalwege, die durch Hoxa9 ausgelöst werden, dafür zuständig, dass sich beim Embryo die Körperachsen korrekt entwickeln – z.B. bei der Ausbildung der Finger an der Hand“, beschreibt Dr. Stefan Tümpel, co-korrespondierender Autor und Wissenschaftler am FLI, die Funktion der Hox-Gene. Die überraschende Entdeckung der aktuellen Arbeit ist, dass die fehlerhafte Reaktivierung des Hoxa9-Gens bei einer Muskelverletzung im Alter die Regenerationsfähigkeit der Muskelstammzellen hemmt, anstatt sie zu verbessern. „Nimmt die Funktion der Muskelstammzellen ab, verschlechtert sich die Regenerationsfähigkeit des gesamten Muskels – dies kann im Alter zur Verminderung der Muskelkraft nach einer Verletzung beitragen“, erklärt Dr. Julia von Maltzahn, die am FLI eine Forschungsgruppe zu Muskelstammzellen leitet. Warum es im Alter zu einem Nachlassen der Stammzellfunktion kommt, ist derzeit noch nicht gut verstanden. Zwar gab es bereits Hinweise darauf, dass Signale der Embryonalentwicklung in alten Muskelstammzellen verstärkt aktiv sind. Aber die Regulator-Gene, die für die Steuerung dieser Signale zuständig sind, wurden bislang nicht mit dem Altern in Zusammenhang gebracht. „Hox-Gene sind evolutionär sehr alte Gene, die von der Fliege bis zum Menschen die Entwicklung der Organe kontrollieren. Dass die fehlerhafte Aktivierung derselben Gene zum Altern von Muskeln führt, ist überraschend und wird unser Verständnis zu den Ursachen des Alterns grundlegend beeinflussen“, erwartet Prof. Dr. K. Lenhard Rudolph, Wissenschaftlicher Direktor des FLI. 

Veränderte epigenetische Stressantwort

Die Aktivierung der Entwicklungsgene im Embryo muss zeitlich genau abgestimmt erfolgen, damit die Bildung der Gewebe und Strukturen perfekt abläuft. Dies erfolgt über Veränderungen des Epigenoms – chemische Modifikationen der Erbinformation (DNA). In Kooperation mit Forschern der ETH Zürich, Dr. Christian Feller und Prof. Dr. Ruedi Aebersold, wurden neuartige Methoden eingesetzt, um zu überprüfen, ob derartige Veränderungen im Epigenom auch Ursache der fehlerhaften Reaktivierung der Hox-Gene während der Alterung sind. „Die Überraschung war, dass die ruhenden Stammzellen im Alter keine fehlerhafte Aktivierung des Epigenoms zeigten. Nur nach einer Muskelverletzung kam es in den gealterten Stammzellen zu einer übersteigerten epigenetischen Stressantwort, zur Öffnung der DNA und damit wie im Embryo zu einer Aktivierung von Entwicklungsgenen“ erklärt Simon Schwörer, Doktorand am FLI und Erstautor der Studie. Neben den Forschern aus Jena und Zürich haben auch Partner aus Ulm, Heidelberg, Los Angeles und Rochester maßgeblich zu den paradoxen Entdeckungen beigetragen. 

Ein Ausblick in die Regenerative Medizin

Ob die Ergebnisse der Studie, die an Mäusen gewonnen wurden, auf den Menschen übertragbar sind, ist Gegenstand jetziger Untersuchungen. „Wir wollen nun mit Partnern vom Universitätsklinikum in Jena untersuchen, ob eine ähnliche Reaktivierung embryonaler Gene auch zum Verlust des Muskelerhalts im alternden Menschen beiträgt“, berichtet Prof. Dr. K. Lenhard Rudolph. Die in Nature publizierte Studie erbrachte einen ersten experimentellen Beweis, dass Medikamente, die Veränderungen am Epigenom vermindern, die Muskelregeneration in gealterten Mäusen verbessern. Solche Ansätze sind aber nicht sehr spezifisch und beeinflussen die Modifikation der Gene in verschiedenen Zellen. In Kooperation mit Dr. Anja Träger vom „Jena Center for Soft Matters“ soll deswegen untersucht werden, ob eine Nanopartikel-vermittelte, spezifische Hemmung der Hox-Gene die Regeneration von alten Muskeln verbessern kann. 

Publikation

Schwörer S, Becker F, Feller C, Baig AH, Köber U, Henze H, Kraus JM, Xin B, Lechel A, Lipka DB, Varghese CS, Schmidt M, Rohs R, Aebersold R, Medina KL, Kestler HA, Neri F, von Maltzahn J*, Tümpel S*, Rudolph KL*. Epigenetic stress responses induce muscle stem cell aging by Hoxa9 developmental signals. Nature 2016 (in press). Doi: 10.1038/nature20603. *Co-korrespondierende Autoren 

Kontakt

Dr. Evelyn Kästner
Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI), Beutenbergstr. 11, 07745 Jena
Tel.: 03641-656373, Fax: 03641-656351, E-Mail: presse@~@leibniz-fli.de