Jena. Stammzellen sind die eiserne Reserve unseres Körpers. Im Blut sorgen hämatopoetische Stammzellen (Blutstammzellen) dafür, dass Blut- und Immunzellen immer wieder neu gebildet werden. Dieser Prozess (Hämatopoese) ist streng geregelt, damit die kontinuierliche, bedarfsgerechte Versorgung mit Blutzellen sichergestellt ist und nur so viele Zellen neu gebildet werden, wie auch tatsächlich ersetzt werden müssen. Jede Zellteilung birgt jedoch das Risiko, dass die Zelle DNA-Schäden anhäuft, dadurch ihre Funktion verliert oder eventuell sogar zu einer Krebszelle mutiert. Deshalb befinden sich Stammzellen die meiste Zeit in einer Ruhephase (Quieszenz), um eine zu starke Abnutzung zu vermeiden. Bei der Abwehr einer Infektion sind aber gerade besonders viele Zellneubildungen nötig: die Stammzellen werden aktiviert und vervielfältigt und fallen danach in ihren Ruhezustand zurück. Nur so ist gewährleistet, dass sie erhalten bleiben. Doch im alten Organismus ist dieser Prozess mehr und mehr gestört. Durch viele im Verlauf des Lebens erfolgreich abgewehrte Infektionen häufen die Blutstammzellen zahlreiche DNA-Schäden an, die nur noch unzureichend repariert werden können. Die Zellen werden über ein Sensorsystem identifiziert und sterben ab, der Vorrat an Stammzellen wird dadurch kleiner. Bisher wusste man, dass spezifische DNA-Reparaturwege notwendig sind, damit Schäden behoben werden und Stammzellen wieder in die Quieszenz gehen können. Wie diese DNA-Reparaturwege aber angeschaltet werden, war unklar.
Forschern um Prof. Dr. Claudia Waskow, Seniorgruppenleiterin am Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung und der Technischen Universität Dresden sowie Professorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, ist es in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Heidelberg und Berlin nun gelungen, im Mausmodell einen epigenetischen Mechanismus zu identifizieren, der die gesamte DNA-Schadensantwort in Blutstammzellen reguliert und somit sicherstellt, dass die Stammzellen schneller zurück in ihren Ruhezustand kommen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Blood erschienen.
SETD1A: Eine epigenetische Einschlafhilfe
Die Biologin und Alternsforscherin fand mit ihrem Team unter anderem heraus, dass die Histon-3-Lysin-4-Methyltransferase SETD1A über eine sogenannte epigenetische Histonmodifikation die Anschaltung aller bekannten DNA-Reparaturwege reguliert. Bei solchen epigenetischen Schaltern werden einzelne Gen-Abschnitte auf der DNA durch die Ankopplung von Molekülgruppen gekennzeichnet und die Gene damit für das Ablesen zugänglich gemacht oder blockiert. SETD1A reguliert auf diese Weise, ob Genabschnitte, die für die DNA-Reparatur geschädigter Blutstammzellen zuständig sind, aktiviert werden können oder nicht.
Die Forscher konnten zeigen, dass SETD1A in Blutstammzellen für die Kennzeichnung der Molekülgruppen und damit für die Bereitstellung der gesamten Reparaturmaschinerie hauptverantwortlich ist. Für den Organismus ist das lebenswichtig, denn bei Mäusen ohne eine solche epigenetische Modifikation, also mit inaktivem SETD1A, kehrten die Stammzellen, die infolge einer Infektion aktiviert worden waren, nicht mehr in ihren Ruhezustand zurück. Sie häuften DNA-Schäden an, die nicht repariert werden konnten, und verloren ihre Funktionalität, so dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Tiere drastisch sank.
Verkürzung der sensitiven Phase nach Infektionen
„Die Funktion von SETD1A ist überraschend vielfältig“, erklärt Prof. Dr. Claudia Waskow. „Denn die SETD1A-Aktivität scheint nicht nur zu regulieren, dass DNA-Schäden in Blutstammzellen erkannt werden, sondern auch, dass diese Schäden repariert werden. Damit kontrolliert SETD1A, welche Stammzellen erhalten bleiben und welche nicht“. Werden DNA-Schäden in den Stammzellen schnell und effektiv repariert, können diese schneller in ihren Ruhezustand zurückkehren. So bleiben sie erhalten, um bei der nächsten Infektion wieder die Immunzellproduktion anzukurbeln und so den Organismus zu verteidigen.
Wenn die SETD1A-Aktivität chemisch beeinflussbar ist, eröffnen sich für die Zukunft neue Ansätze zur unterstützenden Nachbehandlung von Infektionen. „Insbesondere bei älteren Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist, könnte eine Aktivitätssteigerung von SETD1A die Rückkehr von blutbildenden Zellen in den Normalzustand positiv beeinflussen und so die Blutstammzellen für die nächste Infektion erhalten“, prognostiziert Waskow.
Publikation
Kathrin Arndt*, Andrea Kranz*, Juliane Fohgrub, Adrien Jolly, Anita S. Bledau, Michela Di Virgilio, Mathias Lesche, Andreas Dahl, Thomas Höfer, A. Francis Stewart and Claudia Waskow. SETD1A protects HSCs from activation-induced functional decline in vivo. Blood. 2018, 131(12), 1311-1324. doi: 10.1182/blood-2017-09-806844. (*gleiche Beteiligung)
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