Jena. Experimentelle Daten bilden die Grundlage von Wissenschaft und Forschung. Mehr als hundert Jahre hatte das Laborbuch die Form eines gebundenen Protokollbuchs, in dem Planung, Durchführung und Auswertung wissenschaftlicher Experimente akkurat dokumentiert wurden. Im Zuge des elektronischen Zeitalters stößt diese Form der Dokumentation zunehmend an ihre Grenzen, da heutzutage wissenschaftliche Daten meist in elektronischer Form anfallen. Nahe liegend also, diese Daten in einer elektronischen Variante des Laborbuchs (engl. „Electronic Laboratory Notebook“, ELN) zu sammeln. Da die elektronische Dokumentation einerseits gut leserlich und schnell durchsuchbar ist und andererseits über Vergabe von Zugriffsrechten bequem geteilt werden kann, wird auch die Nutzbarkeit der Daten im Forschungsteam erhöht.
Die Handhabung täglich produzierter Datenmengen erfordert aber nicht nur dauerhafte und leistungsfähige Speicherlösungen, sondern auch komplexe Datenmanagementsysteme, also Software, die die Daten für zukünftige Suchanfragen strukturiert und mit Daten verwandter Versuche verknüpft. Rechnergestützte Dokumentationssysteme halten mit diesem Konzept Einzug in die wissenschaftlichen Labore und gestatten eine durchgehend elektronische Datenverarbeitung - vom Messinstrument über die Auswertung bis hin zur Online-Veröffentlichung. Ein ELN bildet das „Dach“ dieser Verarbeitungskette und dient dem Wissenschaftler zur umfassenden Dokumentation des experimentellen Prozesses.
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena hat sich dieser neuen Herausforderung im Laboralltag gestellt und 2018 begonnen, ein ELN in seinen Laboren zu etablieren. Die institutsweite Nutzung wurde ab Juli 2019 realisiert.
Analyse des Softwaremarktes
„Nachdem wir uns 2017 für die Etablierung eines elektronischen Laborbuchs am Institut entschieden hatten, begann ein Team damit, die zur Verfügung stehenden Softwareprodukte zu evaluieren. Es wurden Leistungsmerkmale, Bedienbarkeit und Anbindung an bestehende Systeme verglichen“, berichtet Dr. Karol Szafranski, Leiter der Core Facility „Life Science Computing“ am FLI, der seit Mitte 2018 den ELN-Prozess leitet. Mehr als ein Dutzend Softwareprodukte wurden getestet, wobei sich viele Freiwillige aus dem Wissenschaftspersonal beteiligten und etwa 100 Kriterien für das ELN in einem Anforderungskatalog zusammentrugen. „Anderthalb Jahre Sisyphusarbeit, die nur durch die rege Beteiligung der Kollegen geschafft werden konnte“, fasst Dr. Szafranski den Prozess zusammen. Wichtige Kriterien waren ein Lizenzmodell mit möglichst langer Laufzeit, eine Weiterentwicklung der Software inklusive von Software-Anpassungen an die Institutsinfrastruktur, die Datensicherheit, der Datenschutz sowie der Kunden-Support.
Prozess der Umsetzung des ELN
Im Ergebnis des Ausschreibungsverfahrens erhielt die Firma Research Innovations Ltd. (Edinburgh, UK) den Auftrag zur Implementierung des Programms „RSpace“. Im Oktober 2018 wurde mit dem Betrieb und der Software-Konfiguration auf einem Server des FLI begonnen. Zeitgleich wurde mit dem FLI-Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Nutzung elektronischer Dokumentationssysteme erarbeitet. Eine Stärkung der Mitarbeiterrechte auf Schutz der persönlichen Daten und Anspruch auf Software-Schulungen war für die Einführung einer Technologie, die grundsätzlich auch zur engen Überwachung der Mitarbeiter geeignet wäre, notwendig. Im Anschluss daran erfolgten Funktionstests des ELN.
Da der aktive Nutzerkreis am Institut mehr als 200 Mitarbeiter umfasst, erschien eine Schulung aller Nutzer als unrealistisch, so dass man sich für Schulungen im „Schneeballsystem“ entschied; d.h. im Vorfeld wurden zuerst sogenannte “Multiplikatoren” mit der Anwendung von „RSpace“ vertraut gemacht, die dann im nächsten Schritt ihr Wissen an die Kollegen weitergaben. Ein Workshop für Arbeitsgruppenleiter und weitere offene Schulungsangebote begleiteten diesen schrittweisen Prozess. Eine eigene Intranet-Seite dient zusätzlich als Informationsplattform für Schulungsmaterial und Bedienungsanleitungen, aber auch als Medium für das Nutzer-Feedback, um schnell auf mögliche Mängel reagieren oder Wünsche für neue Programm-Features sammeln zu können.
„Die Inbetriebnahme und Schulungsphase verlief ohne nennenswerte Probleme“, erklärt Dr. Szafranski. Eine Umfrage im März zeigte, dass das ELN sehr positiv angenommen wurde: 19% der Arbeitsgruppen bewerteten das ELN als gleichwertig gegenüber dem klassischen Laborbuch; 62% jedoch als leistungsfähiger. „Das positive Ergebnis bestätigt unsere Strategie und wir sind optimistisch, mit weiteren Workshops und Schulungsangeboten, die Akzeptanz des ELN weiter zu erhöhen und so auch individuell auf Kollegen eingehen zu können, die eventuell mehr Zeit und Hilfe benötigen, um ihre Arbeitsabläufe umzustellen“. Das FLI nimmt mit der ELN-Einführung innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft eine Vorreiterrolle ein und ist mit der institutsweiten, verbindlichen Nutzung auch deutschlandweit herausragend.
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Dr. Kerstin Wagner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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