Rheumatoide Arthritis ist eine chronisch entzündliche Gelenkerkrankung, die nicht nur sehr schmerzhaft ist, sondern auch zur Verformung der betroffenen Gelenke und Knorpel führen kann, bis hin zu deren Zerstörung. Ein Mittel der ersten Wahl ist seit über 60 Jahren das Glucocorticoid-Medikament Kortison, ein chemischer Abkömmling des körpereigenen Nebennierenhormons Kortisol, das unter anderem bei Stress ausgeschüttet wird, um im Körper Energiereserven zu mobilisieren. Doch das Kortison ist für die Patienten Fluch und Segen zugleich. Denn die entzündungshemmende Wirkung ist von möglichen starken Nebenwirkungen wie Knochenschwund und Diabetes begleitet.
Wissenschaftler der Universität Ulm haben nun von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Schwerpunktprogrammes „Osteoimmunology – IMMUNOBONE“ Fördermittel für weitere drei Jahre erhalten, um die Kortisonwirkung bei rheumatoider Arthritis zu erforschen. Knapp 300 000 Euro erhält Professor Jan Peter Tuckermann, Leiter des Instituts für Allgemeine Zoologie und Endokrinologie, für die Erforschung der zellulären Wechselwirkungen zwischen Knochen- und Immunsystem, die bei der Behandlung von chronisch entzündlichen Gelenkerkrankungen mit Glucocorticoiden eine Rolle spielen. „Unser Fokus liegt dabei speziell auf rheumatoiden Krankheitsformen, in denen Autoimmunreaktionen zum Tragen kommen. Das Problem besteht für die Patienten darin, dass die durch die Krankheit ohnehin schon geschädigte Knochensubstanz durch das Kortison zusätzlich angegriffen wird“, so der Osteoporose-Forscher.
Die DFG würdigt in der Bewilligung des Projektes „Zelltyp-spezifische Wirkung von Glucocorticoiden auf die Entzündung und Knochendichte bei der Rheumatoiden Arthritis“ nicht zuletzt die Vorarbeiten und bereits erbrachten Ergebnisse der Forschergruppe. So konnte diese bereits nachweisen, dass bei der Kortison-bedingten Osteoporose vor allem die Störung des Knochenaufbaus für die krankhafte Rückbildung der Knochensubstanz verantwortlich ist. „Früher dachte man, dass für den Knochenabbau bei der Langzeittherapie mit hohen Kortison-Dosen allein die knochenfressenden Osteoklasten verantwortlich sind. Heute wissen wir aber, dass hier die Vorläuferzellen der knochenbildenden Osteoblasten bei ihrer Ausdifferenzierung gestört werden. So kann nicht ausreichend viel Knochenmasse nachgebildet werden, wie der Organismus regulär in Knochenumbildungsprozessen abbaut“, so der 44-jährige Projektleiter.
Die Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass die zelltypspezifischen Mechanismen bei der Wirkung von Kortison bei arthritischen Entzündungsprozessen ganz unterschiedlich sind. Hierbei wurden verschiedene mausbasierte Gelenkentzündungsmodelle durchgetestet: Die Glucocorticoid-Wirkung wird bei bestimmten Arthritis-Erkrankungen bei Mäusen – wie auch bei allergischen Entzündungen – über die so genannten T-Zellen vermittelt. „Diese weißen Blutzellen, die im Knochenmark gebildet werden, gehören zur Immunabwehr. Durch Kortison werden die T-Zellen daran gehindert, autoentzündlich wirkende Zytokine wie das Interleukin 17 (IL -17) freizusetzen, die für den Angriff des Immunsystems auf körpereigene Gewebe verantwortlich sind“, erläutert Dr. Ulrike Baschant, die das Projekt bearbeitet hat. Andere arthritische Entzündungsmodelle zeigten hingegen, dass die T-Zellen dort keine Rolle spielten. „Vorläufige Ergebnisse lassen überraschenderweise darauf schließen, dass hier gerade Nicht-Immunzellen involviert sind“, staunen die Biologen. Die Wissenschaftler möchten nun herausfinden, welche Zelltypen bei der Kortison-bedingten Unterdrückung insbesondere von Anti-Körper-abhängigen, arthritischen Prozessen eingebunden sind, in denen Autoimmunreaktionen eine Schüsselrolle spielen.
Entzündungs- und Knochenbildungsprozesse werden durch den Glucocorticoid-Rezeptor und seine molekulare Konfiguration (als Monomer oder Dimer) auf sehr vielfältige Weise moduliert. So ergibt sich ein äußerst komplexes Zusammenspiel von Knochen- und Immunzellen. „Bisher wurden Knochen- und Immunsystem weitgehend isoliert voneinander betrachtet. In Anbetracht der Tatsache, dass Immunzellen im Knochenmark gebildet werden – und umgekehrt –, Knochensubstanz von Immunzellen modifiziert wird, erscheint diese jahrelange Praxis recht eigenartig“, findet Tuckermann. Nun rücken die Wechselwirkungen zwischen Immun- und Knochensystem mehr und mehr in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung.
Mit ihrem Kortison-Projekt gehören die Ulmer Wissenschaftler zum DFG-Schwerpunktprogramm 1468 „Osteoimmunology – IMMUNOBONE – A Program to Unravel the Mutual Interactions between the Immune System and Bone“, das genau diese Wechselwirkungen zum Thema hat. Das interdisziplinäre Forscherkonsortium, das nun 21 Projektgruppen umfasst, geht – wie die DFG kürzlich mitteilte – mit insgesamt 6,8 Millionen Euro in die zweite Förderperiode.
Für die Universität Ulm bedeutet die Aufnahme in das DFG-Schwerpunktprogramm eine weitere Stärkung des neu etablierten muskulo-skeletalen Forschungsschwerpunktes, bei dem Erkrankungen rund um den Muskel- und Knochenapparat im Mittelpunkt stehen. Nicht zuletzt weil auch eine zweite Forschergruppe der Ulmer Uni in das „Immunobone“-Forscherkonsortium aufgenommen wurde: das Frakturheilungsprojekt aus dem Forschungsbereich Biologie der Knochenheilung und Knochenregeneration von Professorin Anita Ignatius. Mit der erfolgreichen Bewilligung des Folgeantrages knüpft der Endokrinologe Tuckermann an seine Forschungen am Fritz-Lipmann-Institut (FLI) für Altersforschung in Jena an, die bereits im Rahmen dieses DFG-Schwerpunktes gefördert wurden. Bis zu seinem Wechsel an die Universität Ulm im letzten Jahr war Jan Peter Tuckermann Nachwuchsgruppenleiter am FLI.