Die Schilddrüse produziert lebenswichtige Hormone zur Steuerung des Energiestoffwechsels und des Zellwachstums im Körper, die die Funktion nahezu aller Organe beeinflussen. Eine Fehlfunktion, bei der die Schilddrüse entweder zu viel oder zu wenig Hormone produziert, kann beim Menschen zu schwerwiegenden Erkrankungen führen, beispielsweise zu Osteoporose, Herzkreislaufproblemen oder auch Depression.
Schilddrüsenerkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet: Rund ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung ist betroffen, was zu einer jährlichen Kostenbelastung das Gesundheitssystems von mehr als 2 Milliarden Euro führt. Die Diagnose ist jedoch schwierig. Dies liegt zum einen an den vielfältigen Beschwerdebildern, die zu Beginn meist schleichend verlaufen und daher oft nicht als Schilddrüsenprobleme erkannt werden. Darüber hinaus belegen neuere Untersuchungen, dass die bislang zur Diagnostik eingesetzte Bestimmung der Blutwerte für TSH – ein die Schilddrüse stimulierender Botenstoff – sowie für das Schilddrüsenhormon T4 nur unzureichend Aufschluss über die Gesundheit der Schilddrüse geben. Außerdem zeigen viele Patienten bei medikamentöser Gabe von Schilddrüsenersatzhormonen keine vollständige Besserung der Symptome. Dennoch steht beispielsweise das Medikament Levothyroxin auf Platz 10 der weltweit am häufigsten verschriebenen Medikamente.
„Mit dem neuen DFG-Schwerpunktprogramm 1629 ‚Thyroid Trans Act‘ setzen wir genau bei den zentralen Fragen an, die bei diesem überaus wichtigen Gesundheitsthema die Forschungsrichtung für die kommende Dekade bestimmen werden“, sagt Jacobs-Professorin Klaudia Brix, die das Programm gemeinsam mit den beiden Co-Koordinatorinnen aus Berlin und Essen initiierte. „Unser wichtigstes Ziel ist es, zu klären, wodurch die gesunde Schilddrüsenfunktion einerseits und die gestörte Schilddrüsenfunktion andererseits definiert ist. Nur so lässt sich für jeden Patienten individuell klären, wann die Schilddrüse gesund ist bzw. ab wann man von einer Fehlfunktion ausgehen muß. Außerdem beschäftigen wir uns mit folgenden wichtigen Fragen: Wann und wie genau werden die verschiedenen Organe im Körper von Schilddrüsenhormonen beeinflusst? Welche den Schilddrüsenhormonen verwandten Moleküle wirken außerdem auf unsere Organe? Und warum erzielen herkömmliche Behandlungsmethoden nicht immer den gewünschten Effekt?“, so die Expertin für Zellbiologie.
Das interdisziplinär angelegte Schwerpunktprogramm bündelt die Forschung aus 18 Teilprojekten und verbindet so Ergebnisse der Grundlagenforschung aus der Molekular- und Zellbiologie mit angewandter Medizin und bringt Wissenschaftler und Ärzte aus 16 deutschen Forschungsinstituten und Kliniken zusammen. „Ein besonderes Merkmal unseres Schwerpunktprogramms ist es, dass wir von der Basis ausgehend sogenannte translationale Forschung betreiben – das bedeutet, dass unsere Ergebnisse schon sehr bald aus dem Labor heraus und in den Kliniken zur Anwendung kommen sollen“, so Klaudia Brix.
Ein Forschungsfokus des Programms sind die Transportwege der Schilddrüsenhormone von ihrem Produktions- zu ihrem Wirkort. „Wir wissen mittlerweile, dass Transportproteine und auch Stoffwechselderivate der ursprünglichen Schilddrüsenhormone eine wichtige Funktion für Transport und Wirkung spielen“, so Brix. „Eine detaillierte Kenntnis der Transportwege und die Bestimmung von Biomarkern, die die Schilddrüsenfunktion widerspiegeln, erlauben Rückschlüsse darüber, welche Folgen eine Störung dieser Wege mit sich bringt.“ Auf der Basis der gewonnenen neuesten Erkenntnisse sollen dann alternative Diagnosemethoden sowie neue Medikamente, Behandlungsmethoden und Vorbeugemaßnahmen entwickelt werden.
Schwerpunktprogramme gehören zu den wichtigsten Förderinstrumenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ausgestattet mit einem großen Fördervolumen sollen sie spürbare Impulse zur Weiterentwicklung neuer Forschungsfelder setzen, die sich durch innovative Ansätze und Methoden, klare Ziele und internationale Sichtbarkeit auszeichnen. Darüber hinaus fassen sie die Arbeit in ortsverteilten Forschungszentren zu starken und interdisziplinären Netzwerken zusammen.
Beteiligte Forschungsinstitutionen:
- Jacobs University Bremen, Research Center MOLIFE
- Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Zentrallabor, Universitätsklinikum Essen
- Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Universität Duisburg-Essen
- Institut für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie, Charité Universitätsmedizin Berlin
- Institut für Experimentelle Endokrinologie, Charité Universitätsmedizin Berlin
- Klinik für Augenheilkunde, Charité Universitätsmedizin Berlin
- Leibniz Institut für Molekulare Pharmakologie, Berlin
- Institut für Community Medicine und Klinik für Innere Medizin B, Universitätsmedizin Greifswald
- Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Universitätsmedizin Greifswald
- Leibniz Institute for Age Research / Fritz Lipmann Institute, Jena
- Institut für Biochemie, Medizinische Fakultät, Universität Leipzig
- Abteilung Endokrinologie und Diabetes, Fachbereich Medizin, Universität Leipzig
- Abteilung Nuklearmedizin und Molekulares NeuroImaging, Universität Leipzig
- Klinik für Neurologie und Medizinische Klinik I, Universität zu Lübeck
- Klinikum der Universität München
- Grosshadern, Medizinische Klinik und Poliklinik II, München
- Klinikum der Universität München
- Innenstadt, Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Klinische Biochemie, München