Stress macht auf Dauer krank – darüber herrscht heute weitgehend Einigkeit. Ein ständig erhöhter Adrenalinspiegel treibt den Blutdruck in die Höhe, macht rast- und ruhelos und führt langfristig zu Erschöpfung und Krankheit. In kleineren Dosen jedoch können Stressreize durchaus gesundheitsfördernde Wirkung haben: „Allein die Dosis macht das Gift“, wusste bereits im 16. Jahrhundert der Arzt und Philosoph Paracelsus. „In Maßen können sonst potenziell gefährliche Stressreize dazu führen, dass körpereigene Schutzmechanismen ausgelöst werden“, erläutert Prof. Dr. Reinhard Wetzker vom Universitätsklinikum Jena und verweist auf das Beispiel freier Sauerstoffradikale. Diese hochreaktiven Verbindungen tragen maßgeblich zur Entstehung zahlreicher degenerativer Erkrankungen bei, wie Diabetes oder Alzheimer. „In geringen Dosen jedoch aktivieren sie die Abwehrmechanismen des Organismus“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Molekularbiologie weiter. Zu diesen neuen Erkenntnissen haben Jenaer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wesentlich beigetragen.
Wie unterschiedlich Zellen und Organismen auf Stressreize in Abhängigkeit von deren Stärke, Häufigkeit und Qualität reagieren, das können Jenaer Nachwuchswissenschaftler künftig intensiv erforschen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat der Friedrich-Schiller-Universität soeben ein neues Graduiertenkolleg bewilligt, das ab 2012 mit rund drei Millionen Euro gefördert wird. Die Laufzeit des Kollegs mit dem Titel „Molekulare Signaturen adaptiver Stressreaktionen“ beträgt viereinhalb Jahre. An dem interdisziplinären Forschungsverbund sind sechs Teilprojekte aus dem Universitätsklinikum, fünf Projekte aus der Biologisch-Pharmazeutischen Fakultät sowie drei Projekte des Jenaer Leibniz-Instituts für Altersforschung (Fritz-Lipmann-Institut) beteiligt, die dem wissenschaftlichen Nachwuchs beste Bedingungen bieten werden.
„Obwohl die dosis-abhängige Anpassung lebender Zellen an verschiedenste Stressreize seit langem bekannt ist, sind die zugrundeliegenden molekularen Prozesse noch weitgehend unverstanden“, macht Prof. Wetzker deutlich, der Sprecher des neuen Graduiertenkollegs ist. Genau hier wollen die Jenaer Forscher ansetzen. „Wir planen die spezifischen Signalreaktionen zu untersuchen, die das ambivalente Reaktionsverhalten von Zellen und Organismen auf Stressreize bestimmen“, sagt Prof. Wetzker. Von den Ergebnissen dieser experimentellen Untersuchungen erwarten die Forscher ein besseres Verständnis der molekularen Reaktionsmuster von biologischen Systemen auf Stresseffekte. Zudem sollen die Untersuchungen neue Ansätze zur Nutzung des menschlichen Potenzials zur Abwehr und Regeneration in der Medizin erschließen.
„Wir wollen den Doktorandinnen und Doktoranden Einblicke in das enge Wechselspiel fundamentaler biologischer Phänomene vermitteln, wie Leben und Tod, Krankheit und Genesung und die zugrundeliegenden komplexen molekularen Prozesse deutlich machen“, kündigt Wetzker an. Dazu bietet das neue Kolleg ein breit gefächertes Programm von Vorlesungen, Seminaren, Workshops, internationalen Symposien und Gastaufenthalte bei renommierten Partnern an. So ist etwa geplant, die bestehende enge Kooperation mit chinesischen Forschern mittelfristig zu einer „International Research Training Group“ auszubauen. Darüber hinaus kooperiert das neue Graduiertenkolleg mit dem Jenaer Zentrum für Systembiologie des Alterns (JenAge) und dem Center for Sepsis Control and Care (CSCC). Durch die enge Anbindung an diese Forschungsverbünde werden die Jenaer Schwerpunkte „Altern und altersassoziierte Erkrankungen“ sowie „Sepsis und Sepsisfolgen“ nachhaltig gestärkt, ist Sprecher Wetzker sicher.