Diabetes, Bluthochdruck oder chronische Entzündungen können mit der Zeit zu Vernarbungen von Organen führen. Diesen unerwünschten Bindegewebszuwachs nennt man Fibrose. Im schlimmsten Fall werden Organe so verändert, dass sie nicht mehr richtig arbeiten können und am Ende nur noch eine Organtransplantation hilft.
Das Team um Wissenschaftlerin Dr. Sabine Brandt von der Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie Magdeburg hat die Prozesse zur Entstehung einer Organfibrose am Beispiel der Niere genauer untersucht und dabei eine bedeutende Entdeckung gemacht. „Wir haben herausgefunden, dass die Einwanderung der Immunzellen in entzündetes Gewebe und die Vernarbung des Organs zwei getrennte Ereignisse sind. Beide hängen aber von dem gleichen Rezeptor Notch3 ab“, erläutert Dr. Brandt das Ergebnis ihrer Studie und stellt damit gleichzeitig den bisherigen Stand der Wissenschaft in Frage. Fibrosen sind Reparaturprozesse im Körper, die immer dem gleichen zentralen Mechanismus unterliegen: Kommt es zu einer Nierenverletzung, werden unzählige Immunzellen aktiviert, die in das entzündete Gewebe „einwandern“. Man spricht von der sogenannten Immunzellinfiltration. Bei einer unkontrollierten Immunzelleinwanderung kommt es zu einer Überaktivierung von Bindegewebszellen und der Entwicklung von Narben innerhalb des betroffenen Organs.
Ihre Ergebnisse, die in dem renommierten Wissenschaftsjournal „Journal of the American Society of Nephrology“ veröffentlicht wurden, konnten die Forscher in Versuchen mit Mäusen stützen. Wurde der Rezeptor in einer Immunzelle induziert, sorgte er dafür, dass die Immunzellen in das entzündete Gewebe einwanderten. Im umgekehrten Fall löste der Rezeptor in der Bindegewebszelle die Vernarbung aus. Laut Erstautorin Dr. Brandt ist das ein klarer Beleg: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass dieser Prozess keine Einbahnstraße ist und die Funktionen des Rezeptors zellabhängig reguliert werden. Der Notch3-Rezeptor arbeitet dabei als eine Art Vermittler in beiden Prozessen.“ Rezeptoren sind kleine, sehr bedeutsame Protein-Bausteine im menschlichen Körper. Sie fungieren als Antennen, um Signale von Zelle zu Zelle zu übertragen.
Von den Erkenntnissen erhoffen sich die Wissenschaftler*innen, nun gezielte Behandlungsstrategien zu entwickeln, die zum einem der Entzündung der Niere und zum anderen deren Narbenbildung entgegenwirken. Ob sich die Ergebnisse auch auf andere Fibrosearten übertragen lassen, ist noch unklar. Dennoch ist Dr. Brandt überzeugt: „Organfibrose ist ein häufiges Problem in allen Bereichen der Inneren Medizin und man geht davon aus, dass Fibrosen für jeden zweiten Todesfall mitursächlich sind. Deshalb glaube ich, dass diese Forschungsarbeit auch für diese Bereiche von enormer Bedeutung sein kann.“
Das Forschungsprojekt wurde unter der Leitung von Klinikdirektor Prof. Dr. Peter R. Mertens innerhalb des Sonderforschungsbereiches 854 „Molekulare Organisation der zellulären Kommunikation im Immunsystem“ durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und in Kooperation mit hiesigen Arbeitsgruppen (Institut für Molekulare und Klinische Immunologie, Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie, Klinik für Hämatologie und Onkologie) sowie der Uniklinik RWTH Aachen, dem Leibniz-Institut für Alternsforschung Jena und dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung Braunschweig umgesetzt. Das Thema wird im Rahmen des Magdeburger Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie, Inflammation (GC-I3) bearbeitet.
Originalpublikation:
https://jasn.asnjournals.org/content/early/2020/08/27/ASN.2019121289
Brandt, Sabine; Ballhause, Tobias; Bernhardt, Anja; Becker, Annika; Salaru, Delia; Le-Deffge, Hien; Fehr, Alexander; Fu, Yan; Philipsen, Lars; Djudjaj, Sonja; Müller, Andreas; Kramann, Rafael; Ibrahim, Mahmoud; Geffers, Robert; Siebel, Chris; Isermann, Berend; Heidel, Florian; Lindquist, Jonathan; Mertens, Peter. Fibrosis and immune cell infiltration are separate events regulated by cell-specific receptor Notch3 expression.